3. Mai 2024

„sei freundlich“ – Literatur und nichts weiter: Rumäniendeutsche Autorinnen und Autoren lesen in Bad Kissingen

Freundlich wird man als Gast am Bahnhof abgeholt von Gustav Binder, Fahrer, Moderator und Studienleiter in Personalunion, der die Tagung „Das Banat als Herkunftsbezug und Thema. Zeitgenössische Literatur bekannter rumäniendeutscher Autoren“ nach Heiligenhof in Bad Kissingen geholt hat, wo sie vom 5. bis 7. April stattfand. Das Programm dieses vom Kulturwerk der Banater Schwaben geförderten Literaturseminars hatte Anton Sterbling zusammengestellt und war der rumäniendeutschen Literatur gewidmet.
Die Polemik über diese Bezeichnung erwähnte er nur am Rande. Mit insgesamt vierzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Veranstaltung sehr gut besucht und hatte nicht nur in Rumänien Verwurzelte, sondern neben bundesdeutschen auch Gäste aus Österreich, sudetendeutsche Gäste etc. angezogen. Mit einem humorigen und oft ins Anekdotische ausschweifenden Prosatext „Rückkehr aus dem Klimadelirium und die merkwürdige Begegnung mit Nikolaus Lenau in Wien“ (2024), der schon im Titel polemisierte, führte Anton Sterbling souverän in die Tagung ein. Am Samstag machte Edith Ottschofski den Auftakt und trug Gedichte mit Temeswar-Bezug aus ihrem letzten Band „saumselige annäherung“ (2022) sowie neuere mit Ostsee-Bezug vor, wobei besonders jene im Temeswarer Dialekt erfreuliche Resonanz fanden. Nicht minder Zuspruch fand Dagmar Dusils druckfrischer Roman „Das Geheimnis der stummen Klänge“ (2024), in dem es um eine Klaviervirtuosin geht und allerlei Verwicklungen, die sich von Hermannstadt bis nach Venedig erstrecken. So manche der Anwesenden erkannten sich in den darin beschriebenen siebenbürgischen Gepflogenheiten wieder. Ähnlich und doch unter anderem Vorzeichen erging es Ilse Hehn bei ihrer Lektüre eines Gedichtes über die Flucht 1944 aus Rumänien. Das Trauma der Flucht resonierte sogleich im kollektiven Gedächtnis der Tagungsgäste. Doch die Gryphius-Preisträgerin letzten Jahres las vor allem neuere unveröffentlichte Gedichte, in denen der Frieden nur ein „zerknittertes Wort“ ward. Dazu projizierte sie eigene Kunstwerke.
Referenten und Referentinnen der Tagung in Bad ...
Referenten und Referentinnen der Tagung in Bad Kissingen, von links: 1. Reihe: Traian Pop, Helmuth Frauendorfer, Ilse Hehn, Dagmar Dusil, Anton Sterbling, Hellmut Seiler; 2. Reihe: Edith Ottschofski, hintere Reihe: Horst Samson, Astrid Ziegler, Werner Kremm. Foto: Ilse Hehn
Am Nachmittag kam der Verleger der meisten dort Anwesenden, Traian Pop Traian, ebenfalls Gryphius-Preisträger (2020), zu Wort. Er hatte nicht nur für den gut bestückten Büchertisch gesorgt, sondern las Übersetzungen seiner rumänischen Gedichte aus 1989/1990 („Absolute Macht“, 2017). Der vor sechs Jahren durch einen Gerichtsprozess wegen angeblichen übergriffigen Verhaltens an seiner Arbeitsstelle an der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in die Schlagzeilen geratene Helmuth Frauendorfer meldete sich hier als Autor wieder zu Wort. Er präsentierte gleich zwei Bücher: den Roman „Abendweg“ (2022), aus dem er ein in der Frauenperspektive geschriebenes Fragment las, und den Band „Photopoesie aus Phuerth“ (2024), der mit Bild und Text gegenwartsbezogen und nicht ganz so bierernst die Corona-Zeit verarbeitete. Hellmut Seiler hingegen, der zu Pfingsten den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis erhalten wird, setzte am Nachmittag seine Gedichte in Bezug zu großen Namen der deutschen Literatur und Philosophie, namentlich zu Klopstock, Kafka und Kant, derer in diesem Jahr feierlich gedacht wird. Auch wollte er eine Lanze für die siebenbürgische Literatur brechen, die vergleichsweise wenig vertreten war. Eine wunderbar packende Übersetzung von Alexandru Potcoavă gab Werner Kremm zum Besten. Der Vorfahr des Protagonisten Ephraim war aus der Stadt Halle geflohen und hatte deren Namen angenommen. „Das Leben und die Rückkehr eines Halle“ ist 2019 auf Rumänisch im Polirom Verlag in Jassy erschienen.

Mit dem sonor und mit Pathos vorgetragenen Poem „La Victoire“ von Horst Samson (Erstveröffentlichung 2000) wurde anderntags abermals die Flucht aus Rumänien intertextuell und bilderreich thematisiert. „La Victoire“, der Sieg, war damals die Ausreise. Auch mit der Vergangenheit, von heiter bis ernsthaft, beschäftigte sich Astrid Ziegler: Mit der „Medizin vom Pierepoum“, Mode und Mythos, wobei sie zwischen Sachbuch, Kurzprosa und letztendlich Vortrag changierte.

Zum krönenden Abschluss kam ein Abwesender zu Wort: Die Texte von Albert Bohn las Werner Kremm, da Bohn verhindert war. Es handelte sich um eine Prosa über die Kriegswirren und die eigene Familiengeschichte sowie um zwei Gedichte. Kritik an der Rückwärtsgewandtheit der Tagungstexte kam zum Teil vom bundesdeutschen Publikum. Doch es überwog das Lob und das rege Interesse.

Der Heiligenhof hat sich inzwischen als Tagungs- und Begegnungsort für rumäniendeutsche Belange etabliert. Dieser noch jungen Tradition der Literaturseminare als Austausch der rumäniendeutschen literarischen Diaspora – und als Dialog zwischen Siebenbürgen und Banat – wäre eine Fortführung nur zu wünschen. Die ist wohl auch geplant. Beim Abschied blieb „sei freundlich“ – das letzte Gedicht von Albert Bohn – noch eine Weile im Gedächtnis.

Edith Ottschofski

Schlagwörter: Literatur, Banat, Autoren, Bad Kissingen, Seminar

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